Schlaflos

Die Augen fallen zu,
Sobald die Nacht anbricht,
Doch find ich keine Ruh,
Denn schlafen kann ich nicht.

Der Alltag glüht noch nach –
Wie grell und ungebeten!
Die Traumlandschaft liegt brach,
Ich kann sie nicht betreten.

So bin ich wach geblieben
Bis hin zum nächsten Morgen.
Wurd durch die Nacht getrieben
Von meinen Alltagssorgen.

November 2020


Genug

Ich weiß nicht recht,
Was soll es noch bringen?
Ein wirres Geflecht,
Kaum zu durchdringen.

Nur schwer zu ertragen,
Es wird mir zu bunt!
Ich muss es wagen –
Schaum vorm Mund.

Wie sehr ich auch ringe,
Der Abschied ist hart.
Ich schärfe die Klinge,
Weg muss der Bart.

Dezember 2020


Umzug

Die ganze Stube vollgestellt
Mit Hausrat, Kunst und Trödel.
Gefüllt mit Kram aus aller Welt
Sind Truhen, Schrank und Möbel.

Beinah ein Kunststück, diese Mengen
In solch begrenzten Raum zu zwängen.
Relikte aus vergangnen Tagen,
Die nun den Tritt ans Lichte wagen.

Wie ich vor dem Gerümpel steh,
Wird mir ganz schwindelig und weh.
Der Geist von Ramsch und Tand beengt,
Von Kitsch und Schund ringsum bedrängt.

Der Firlefanz aus alten Zeiten
Will nichts als Ärger mir bereiten.
Ich lasse keine Gnade walten
Und will nur Nützliches behalten.

Von all dem Plunder erst befreit,
Kann ich zu neuen Ufern streben.
Nur wer zum Abschied ist bereit,
Mag seine Seele neu beleben.

Dezember 2020


Wanderer und Kobold

Kobold
Die Flammen fach ich weiter an
Und tanze wild ein Pentagramm.
Schon ausgefranst mein Mantelsaum –
Doch wer hockt heimlich hinterm Baum?
Wird dort wohl etwa spioniert?

Wanderer
Hab bloß beim Wandern mich verirrt!
Hab wohl den falschen Weg genommen
Und bin sogleich hier angekommen.

Kobold
Seid unerlaubt und ungebeten
In mein geheimes Reich getreten!
Den Teufel wollte ich beschwören,
Da hab ich's leise rascheln hören.

Wanderer
Verzeiht mir bitte, werter Herr,
Gewiss ist euer Handwerk schwer.
Weist nur den rechten Pfade mir,
Und schon verschwinde ich von hier.

Kobold
Ich kenn ihn nicht, doch nicht verzagen,
Lasst mich nur einen Vorschlag wagen:
Wir könnten meinen Meister rufen,
Der scharrt bestimmt schon mit den Hufen.
Ich lade ein, euch zu bequemen,
An meinem Feuer Platz zu nehmen.

Wanderer
Ich weiß nicht recht und will nicht klagen,
Doch muss ich vorher höflich fragen,
Bevor ihr ruft ihn hier zur Stelle:
Ist er ein artiger Geselle?

Kobold
Nun muss ich ehrlich euch gestehen,
Ich selbst hab ihn noch nie gesehen.

Wanderer
So sprach er doch gewiss zu euch?

Kobold
Ich sah ein brennendes Gesträuch ...

Wanderer
Ich glaub, ich trau den Ohren nicht,
Du fratzenhafter kleiner Wicht!
Du Kobold bist den Menschen ähnlich,
Behaupten doch auch diese nämlich,
Dass oben dort ein Gott rumspringt,
Der Frieden und Erlösung bringt.

Kobold
So fraget ihn doch nach der Richtung!

Wanderer
Ach, Gott und Teufel sind bloß Dichtung!
Tanzt weiter, bis der Tag anbricht!

Kobold
Ihr meint, den Teufel gibt es nicht?
Der reinste Hohn! Dass ich nicht lache!
Ihr irret sehr in dieser Sache!

Wanderer
Na wenn ihr meint, es sei nicht schwer,
Beschwöret euren Meister her!

Kobold
Zu spät! es geht nur in der Nacht.

Wanderer
Das hatte ich mir fast gedacht.

Kobold
Schaut her! schon geht die Sonne auf.

Wanderer
Nun seh ich auch des Weges Lauf.

April 2021


Freiheit

In ihrem Geleit
Unbeschwert wandeln,
Vom Zeitgeist befreit
Möchte ich handeln.

Wenn man mich lässt,
Dreh ich Runde um Runde –
Hält man mich fest,
So geh ich zugrunde.

April 2021


Kettenbuch

Am Lesepulte angekettet
Auf alte klösterliche Art.
Erkenntnis auf Papier gerettet,
Die sich dem Leser offenbart.

Obwohl das Buch am Platz verbleibt,
Trägt man das Wissen mit sich fort.
Was man sich einmal einverleibt,
Ist nicht gebunden an den Ort.

April 2021


Blindlings

Rosenknospen, Schmetterlinge –
Liebste, was versprachst du mir!
Grausam und mit schärfster Klinge
Bin ich nun getrennt von dir.

Was hab ich mir dabei gedacht,
Mich blindlings in dich zu verlieben?
Nur wenig hat es mir gebracht,
Noch weniger ist mir geblieben.

Mai 2021


Frühling

Lag wochenlang im Krankenbette
In einem fensterlosen Zimmer,
Als wenn ich ihn nicht nötig hätte,
Der Frühlingssonne holden Schimmer.

Durch ihn wär ich schon längst genesen,
Erquickt und wieder auf den Beinen.
Als wär der Frühling nie gewesen,
Wills mir im Nachhinein erscheinen.

Mai 2021


Alter Holzschnitt

Als Kind las ich in einem Buch
Und sah ihn erstmals scharf umrissen,
Gehüllt in samtig schwarzes Tuch,
Gebettet auf verzierte Kissen.

Seither begleitet er mich stets,
Folgt knöchern und mit grimmem Blick
Mir still entlang des Lebenswegs,
Wacht über mich und mein Geschick.

Mai 2021


Wanderer

Ich wander viele Meilen
Von Ort zu Ort.
Lang kann ich nie verweilen,
Will immer gleich fort.

Ob tags durch weite Flur,
Ob nachts im Hain,
Ich folg der Musen Spur
Und wander allein.

Juni 2021


Reges Treiben

In den Gassen reges Treiben,
Heitres Taumeln, hin und her,
Dichtes Aneinanderreiben,
Wege sieht man schon nicht mehr.

Stummes Wirbeln, Schleiertänze,
Massen, die umher sich wälzen,
Flink rotieren Perlenkränze –
Bald wird alles wieder schmelzen.

Juni 2021


Verträumter Tag

Viel hatte ich mir vorgenommen
Und dann den lieben Tag verträumt.
Doch ist es mir nicht vorgekommen,
Als hätt ich Wichtiges versäumt!

Fast nichts geschafft und doch zufrieden
Mit mir und diesem trägen Tag,
Denn Ruhe war mir heut beschieden,
Als ich entspannt im Garten lag.

Juli 2021


Erleuchtung

Erlösung ist beinah in Sicht,
Denn jeder ahnt: Es gibt ihn nicht.
Auf Erden hat er keine Macht,
Nur in dem Kopf, der ihn erdacht.

Juli 2021


Zeit

Als Kind schien mir die Zukunft fern,
Doch jetzt entflieht die Zeit geschwind.
Gar flüchtig ist ihr Wesenskern,
Wie Sand, der durch die Finger rinnt.

Die Sanduhr kann ich immer wenden
Und schon beginnt ein neues Spiel.
Die Lebenszeit wird dereinst enden –
Ich spür, es bleibt nicht endlos viel.

Juli 2021


Letzte Nacht

Die Jahre ziehn vorüber,
Das schüttre Haar ist grau und kraus.
Der Blick wird starr und trüber,
Ganz leer und einsam wirkt das Haus.

Die Winter werden länger,
Der alte Ofen wärmt nicht mehr.
Es rauscht der Weltempfänger,
Sein heisrer Ton klingt schal und leer.

Die Kerze flackert schwach,
Kaum Sterne sind heut Nacht zu sehen.
Es knarrt das alte Dach –
Ich fühle, es ist Zeit zu gehen.

August 2021


Manualiter

Meist genügt der Klang der Pfeifen
Und das Publikum gibt Ruh.
Nur wenn sie es nicht begreifen,
Tret ich auch mal kräftig zu.

August 2021


Hasenfuß

Was hatte ich noch vor,
War voller Tatendrang.
Verschlossen war das Tor,
Was mich zur Umkehr zwang.

Der Schlüssel war verschollen,
Die Riegel schon verrostet.
Wie hätt ich's angehn sollen?
Was hätte es gekostet?

Ich schreite lieber fort
Und blicke nicht zurück.
An einem andern Ort
Versuche ich mein Glück.

August 2021


Kaskade

Wo sich schon mancher Blick verlor,
Ergießt sich die erhabne Quelle.
In Stufen ragt sie hoch empor,
Herunter stürzen Flut und Welle.

Wie jede Stufe überquillt,
Des reichen Überflusses satt,
Und gleich den Durst der nächsten stillt,
Bis diese auch gelabt sich hat.

August 2021


Trauerweide

Sie spendet Schatten auf der Heide,
Ist dem Wandrer wohlgesinnt,
Kitzelt neckisch ihn im Wind
Und tanzt in prachtvoll grünem Kleide.

Im Frühjahr webt sie ihren Saum,
Hält sich unter ihm versteckt;
Ihre Kätzchen sind bedeckt
Mit samtig weichem Seidenflaum.

August 2021


Versunkene Zeiten
Ruine Waldenburg

Minnesang und Kampfgeschrei –
Schon vor Jahrhunderten verklungen.
Mancher Schild brach hier entzwei,
Um manche Gunst ward hier gesungen.

Alter Zeiten Abgesang,
Der stumm im Walde sich verlor.
Seit das Kriegshorn jäh erklang,
Ragt noch ein halber Turm empor.

Neue Mauern sind erbaut,
Die statt der Harnische nun prunken.
Bäche sind längst angestaut,
Die alte Zeit im See versunken.

August 2021


Drachen

Fest angebunden wie ein Hund
Und trotzdem wie die Vöglein frei.
So flattert er im Winde bunt
Und gleitet elegant vorbei.

Ergriffen von derselben Kraft,
Die mühelos die Wolken treibt,
Wodurch sich seine Leine strafft
Und er am selben Ort verbleibt.

Wenn eine Böe an ihm zerrt,
So taumelt er herab und bebt,
Bis er dann flink zum Himmel fährt,
Sobald der Wind ihn wieder hebt.

August 2021


Draisine

Leise gleitet
Die Draisine
Sanft geleitet
Auf der Schiene.

Vorüber ziehen
Feld und Wald,
Stunden fliehen
Ohne Halt.

September 2021


Flugmaschine

Über allen Wolken knattert
Schallend der Motorenlärm.
Wie ein Vogel wär ich gern
Elegant hinaufgeflattert.

Oben stolz im Winde stehen
In gefiedertem Gewand;
Auen, Wälder, Dorf und Land
In der Abendsonne sehen.

September 2021


Der Biber

Nicht ohne Stolz
Durchbeiß gewiss
Ich jedes Holz
Mit starkem Biss.

Ich fälle Eichen,
Rücke Stämme,
Wälder weichen,
Ich bau Dämme.

Ich regiere
Wald und Flur,
Dominiere
Die Natur.

Zu Hochmut neigt,
Wer sie bezwingt –
Das Wasser steigt,
Mein Bau versinkt.

September 2021


Letzter Tanz

Leuchtend bunt zum letzten Tanz
Erhebt sich die Natur.
Im Wind dreht sich ihr Totenkranz,
Es schillern Wald und Flur.

Feierlich legt sich zur Ruh,
Was keine Ruhe fand;
Zufrieden macht die Augen zu,
Was keinen Schlaf gekannt.

Oktober 2021


Vergebens

Finde mich in Kirchen wieder
Und begreife nie, warum.
Manche knien in Andacht nieder,
Ich sitz bloß verblüfft herum.

Zweimal kommt man unfreiwillig,
Jeweils nach Geburt und Tod.
Manchmal schluck ich widerwillig
Süßen Wein und trocknes Brot.

In der Regel geh ich nur,
Wenn die Sitten es gebieten,
Und verfolge brav und stur
Allerhand bizarre Riten.

Es muss wunderlich erscheinen,
Wenn von oben man's betrachtet.
Doch dort oben kenn ich keinen,
Der das Treiben hier beachtet.

Oktober 2021


Herbstlicher Weiher

Noch in den frühen Morgenstunden
Zieht über spiegelglattem Weiher
Ein Kranich einsam seine Runden
Durch dichtgewebte Nebelschleier.

Sein Ruf klingt wie ein Abschiedswort,
Im Dunst ist er nicht mehr zu sichten.
Er ist schon lange wieder fort,
Wenn sich die kalten Nebel lichten.

Oktober 2021


Entrinnen

Viel Zeit hab ich damit verbracht,
Der Menge hinterherzueilen,
Doch bin ich nicht dafür gemacht,
Um unter Menschen zu verweilen.

Ich habe gar nichts gegen sie,
Bin ihnen immer wohlgesinnt,
Doch frage ich mich ständig, wie
Man ihnen unbemerkt entrinnt.

Januar 2022


Träumerei

Ich schweige, wenn der Dichter spricht,
Und lausche seinem süßen Lied,
Das harfengleich die Stille bricht,
Mir schöne Stunden schon beschied.

Ich lasse willig mich betören
Vom Auftakt bis zum Schlussakkord.
Auch wenn schon längst nichts mehr zu hören,
Wirkt magisch noch sein Zauber fort.

Januar 2022


Zerstreut

Der Gedanke ist fast reif,
Liegt mir beinah auf der Zunge.
Doch die Lippen bleiben steif,
Nicht ein Hauch verlässt die Lunge.

So gerate ich ins Stammeln.
Die Gedanken sind verstreut,
Fort ist ihr geheimer Sinn.

Mühsam muss ich sie nun sammeln
Und beginne dann erneut,
Wo ich stehn geblieben bin.

Februar 2022


Klänge der Stille

Ich höre meinen Kater schnurren,
Den Glockenschlag der Pendeluhr,
Am Fenster eine Biene surren,
Ein Balken knarrt im Wohnungsflur.

Nichts Menschliches ist heut zu hören,
Nicht dieser ungestüme Klang.
Kein Lärm will diese Ruhe stören,
Aus tiefer Stille wird Gesang.

Februar 2022


Antinomie des Barbiers

Der Ärmste unter den Barbieren
Sei als ein solcher definiert,
Der alle, und nur die, rasiert,
Die sich partout nicht selbst rasieren.

Nun wird der arme Kerl sich fragen:
Darf ich den eignen Bart mir scheren?
Muss ich mir selbst den Dienst verwehren
Und bis auf Weitres Vollbart tragen?

März 2022


In vino veritas

Rötlich glänzt im Kerzenschein
Lang gereifter Rebensaft.
Wahrheit ist es, die der Wein
In der Abendstunde schafft.

Wird er reichlich ausgeschenkt,
Kommt so manch Geheimnis raus.
Was der Nüchterne nur denkt,
Plaudert der Betrunkne aus.

Mai 2022


Resümee

Was ich nicht alles niederschrieb,
Wenn Irrtum meine Feder trieb.
Doch welche Wonne mich beschwingt,
Wenn ein Gedicht mir dann gelingt!

Juni 2022


Eines Tages

Jahre hab ich dir gestohlen,
Viele flossen schon dahin.
Eines Tags wirst du mich holen,
Wenn ich alt geworden bin.

Mein Erlöser wirst du sein,
Lass mich dich beim Namen nennen:
Knochenmann, einst bin ich dein.
Selbst die Zeit wird uns nicht trennen.

Juni 2022


Klausuraufsicht

Die Abrechnung erfolgt zum Schluss,
So manchem bleibt nur banges Hoffen.
Am frühen Morgen fällt der Schuss,
Die meisten schweigen bloß betroffen.
In Reih und Glied seh ich sie sitzen,
Wie alle Blut und Wasser schwitzen.
Die Zeit ist um! Das Ende offen ...

Juli 2022


Paternoster

Runde um Runde,
Beraubt aller Ruh,
Aus tiefstem Grunde
Dem Himmel zu.

Und wieder zurück,
Die Seele schon wund,
Vom höchsten Glück
Zum Höllenschlund.

Auf und nieder,
Traurig und munter,
Immer wieder
Hoch und runter.

Juli 2022


Wetterfahne

Um meinen lieben Schlaf gebracht
Hat mich die Fahne auf dem Dach.
Sie quietscht und klappert in der Nacht
Und hält mich unermüdlich wach.

Ich wollte sie zum Schweigen kriegen,
Hab lange gegen sie gewettert!
Zermürbt bin ich aufs Dach gestiegen
Und, bloß im Nachthemd, raufgeklettert.

Dann stürzte ich, mein Herz schlug fest,
Der Aufprall folgte dumpf und hart.
Und ich erwache schweißdurchnässt –
Die Fahne draußen quietscht und knarrt ...

Juli 2022


Die Hitze brüllt

Ich geh kaputt, die Hitze brüllt,
Steil steht die Sonne im Zenit.
Ich bin von einer Glut umhüllt,
In der man sonst schon Braten briet.

Ich gehe auf wie Sauerteig,
Vor Hitze kann ich kaum klar denken
Und komm auf keinen grünen Zweig,
Erfrische mich mit Kaltgetränken.

Ich schmelze wie Vanilleeis
Und sicker in die Polsterritzen.
Zu großen Strömen schwillt der Schweiß,
Ich brech den Weltrekord im Schwitzen.

Ich schrumpel ein wie die Rosinen,
Werd außen welk und innen weich,
Werd schon vertilgt von Honigbienen,
Bin rundum braun, die Sohlen bleich.

Mein Zahnschmelz schmilzt wie Schweizer Gletscher
Den Rachen runter mit Geplätscher.
Und die Moral von der Geschicht?
Mir ist zu heiß. Die juckt mich nicht!

August 2022


Träume

All meine Träume münden in den See,
An dem vor langer Zeit ein Boot ich baute.
Nicht eine Böe weht von Luv nach Lee,
Herrscht in der Bucht doch schon seit jeher Flaute.
Kein Wind will in die müden Segel fassen,
Weil ich mein Leben lang mich niemals traute,
Den sichren Hafen hinter mir zu lassen.

August 2022


Kalte Winde

Der Himmel ist fast wolkenfrei,
Es ist schon spät und klirrend kalt.
Allein ein Habicht fliegt vorbei,
Kreist wachsam über Feld und Wald.

Die Pfade sind mir tief verschneit,
Im Dämmerlicht bleib ich kurz stehn.
Wie ist mein Heimweg ach so weit,
Wenn mir die kalten Winde wehn!

August 2022


Hexenkessel

„Krötenaugen, Katzenpfoten
Hauchen Leben ein dem Toten.
Altes wird zunichtegehen,
Neues seiner statt entstehen.“

Schon entsteigt dem alten Kessel,
Was ich feierlich beschworen.
Frei von seiner Todesfessel
Wird es brodelnd neugeboren.

Lass im Totenbuch mich lesen,
Meine Worte sollst du hören.
Schwarz gehörntes Schattenwesen
Sollst mir deine Treue schwören.

Doch weh! es greift nach mir und zieht
Mich in des Kessels tiefen Schlund.
Ich spür, wie mich das Leben flieht,
Und sinke reglos auf den Grund.

September 2022


Sternwanderers Nachtlied

Oben im All
Ist Ruh,
Keinen Schall
Hörest du,
Spürst keinen Hauch;
Nur auf Erden lärmt es schwer,
Zur Ruhe kommt hier niemand mehr.
Wie denn auch?

September 2022


Qual der Wahl

Aus dem Dunkeln starren Fratzen
Grimmig her mit gluhen Blicken.
Bucklig huschen schwarze Katzen
Um der Hexen Mantelflicken.

Mit Folter drohen mir und Qual
Geister, die vorm Fenster schweben,
Und sie stelln mich vor die Wahl:
Süßes, sonst wirds Saures geben!

Oktober 2022


Der blaue Magier

Bei meinem Bart! Ich traue nicht
Den eignen Augen. Wer ist das,
Der mit dem Zauberstabe ficht
Und fuchtelt ohne Unterlass?

Manch Heldentaten zu verrichten,
Ist er zwar ganz und gar gewillt,
Doch statt Rivalen zu vernichten,
Zielt er nun auf sein Spiegelbild.

Und seine Zauber wirken nur
Verqualmte Luft und Schwefelstank.
Hat er getrunken eine Spur
Zu viel vom guten Zaubertrank?

Dezember 2022


An Pluto

Die großen Brocken sind vertont,
Auch Jupiter blieb nicht verschont.
Man sang, zu allem Überfluss,
Sogar schon über Uranus!

Was bleibt, ist Plutos fahles Licht,
Doch brach der Mensch mit diesem Wicht.
Klammheimlich kreist der Möchtegern
Gar nonchalant um unsern Stern.

Zwar hält er alle weit umschlungen,
Doch bleibt fürs Erste unbesungen.

Dezember 2022


Ach, zig Jahre

Ach, zig Jahre bin ich alt
Und es kommen, ach, zig weitre.
Wenn das Ständchen wieder schallt,
Weiß ich, 's werden sicher heitre!

Januar 2023


Childhood

No future but the afternoon,
No thoughts about tomorrow.
And then life brings us, all too soon,
Years of regret and sorrow.

Of all the things we mean to do
As time keeps rushing by,
We realise none but just a few
Before we fade and die.

Januar 2023


Adios, Arecibo

Großes Auge sahest ferne
Welten, fingest ihren Schein.
Galaxien, Nebel, Sterne,
Drangst in ihr Geheimnis ein.

Tiefe Blicke warfest du
Weit in die Unendlichkeit.
Schlossest dann dein Auge zu,
Schlossest es vor Raum und Zeit.

Februar 2023


Die üble Wurzel

Warum wird mir so lieblich helle?
Ist es die Spritze, die ich kriege?
Mein Backenzahn tritt auf der Stelle,
Sodass ich mich vor Schmerzen wiege.

„Die üble Wurzel ist dran schuld!
Das werd ich richten, keine Bange.
Ich bitte höflich um Geduld,
Bin gleich zurück mit meiner Zange.“

Gesagt, getan,
Greift er den Zahn.
Ein lauter Schrei,
Schon ists vorbei.

April 2023


Der Spätlesereiter
Nach einer Volkssage

Er wurde geschwind im Botengewand
Mit reifen Trauben nach Fulda entsandt.
Und so empfing der Fürstbischof
Den Reiter dann an seinem Hof,
Nahm eine Probe von der Rebe,
Ob sie wohl guten Wein ergebe.
Er hieß den Boten, rasch zu eilen,
Um in der Heimat mitzuteilen:

„Den Winzern sei hiermit befohlen,
Die Ernte zügig einzuholen.“

Auf seinem langen Weg zurück
Verließ den Reiter dann sein Glück.
Darnieder lag der treue Gaul,
Die Trauben wurden edelfaul.
Den weiten Fußmarsch in den Knochen
Kam er ins Rheingau erst nach Wochen.
Man holte schnell die Ernte ein –
Verblüffend köstlich war der Wein!
Im Weingut Schloss Johannisberg
War man zufrieden mit dem Werk.
Dem Bischof hat er auch geschmeckt,
Die späte Lese war entdeckt.

April 2023


Jørn-Ole Hurtig

Auf den nach ihm benannten Routen
Musste Hurtig sich einst sputen.
Von Reiselust ließ er sich packen,
Doch saß ihm bald ein Sturm im Nacken.
Sein Boot sah man am Fels zerschellen,
Er selbst sprang mutig in die Wellen.

Dem Seemannstod nur knapp entkommen,
Hat er die Wand des Fjords erklommen.
Auch hat er, hört man manche sagen,
Mit bloßer Hand ein' Troll erschlagen.
Und wer all dies für Blødsinn hält,
Kam nicht weit rum in dieser Welt!

Juli 2023


Wanderer und Kobold II
Alternative Fassung

Kobold
Die Flammen fach ich weiter an
Und tanze wild ein Pentagramm.
Schon ausgefranst mein Mantelsaum –
Doch wer hockt heimlich hinterm Baum?
Wird dort wohl etwa spioniert?

Wanderer
Hab bloß beim Wandern mich verirrt!
Hab wohl den falschen Weg genommen
Und bin sogleich hier angekommen.

Kobold
Seid unerlaubt und ungebeten
In mein geheimes Reich getreten!
Den Teufel wollte ich beschwören,
Da hab ich's leise rascheln hören.

Wanderer
Verzeiht mir bitte, werter Herr,
Gewiss ist euer Handwerk schwer.
Weist nur den rechten Pfade mir,
Und schon verschwinde ich von hier.

Kobold
Ich kenn ihn nicht, doch nicht verzagen,
Lasst mich nur einen Vorschlag wagen:
Wir könnten meinen Meister rufen,
Der scharrt bestimmt schon mit den Hufen.
Ich lade ein, euch zu bequemen,
An meinem Feuer Platz zu nehmen.

Wanderer
Ich weiß nicht recht und will nicht klagen,
Doch muss ich vorher höflich fragen,
Bevor ihr ruft ihn hier zur Stelle:
Ist er ein artiger Geselle?

Kobold
Nun muss ich ehrlich euch gestehen,
Ich selbst hab ihn noch nie gesehen.

Wanderer
So sprach er doch gewiss zu euch?

Kobold
Ich sah ein brennendes Gesträuch ...

Wanderer
Gescheit seid ihr beileibe nicht,
Wohl eher närrisch, kleiner Wicht.
Auf falsche Zeichen fallt ihr rein
Und wollt des Teufels Diener sein?
Ihr werdet lernen, mich zu ehren,
Wenn meine Flammen euch verzehren!

Kobold
Durch Schwefelwolken schlagen Blitze,
Sogleich umfängt mich große Hitze.
Was ist hier los, kann das denn sein,
Ist eure Wanderschaft bloß Schein?
Dient euch der Stecken nur zur Tarnung?
Mit Graus beschleicht mich böse Ahnung.

Wanderer
Ich bin der Fürst der Unterwelt,
Ihr selbst habt mich hierher bestellt.

Kobold
Für wahr, ihr seid nicht, was ich dachte,
Wenn ich genauer euch betrachte.
Die Hörner und der Ziegenbart
Sind nicht des Menschen Eigenart.

Wanderer
Nun sollt ihr durch mein Feuer sterben!

Kobold
Verschonet mich, erhört mein Werben:
In Flammen steht schon mein Gewand,
O Meister, reicht mir eure Hand,
Ich will euch ewig Treue schwören!

Wanderer
Um dies aus eurem Mund zu hören,
Hab ich die Wandrung unternommen,
Nur deshalb bin ich hergekommen.

Kobold
Von nun an dien ich euch allein.
Was soll mein erster Auftrag sein?

Wanderer
Das Feuer haltet ihr in Schach
Und bleibt in dunklen Nächten wach.
Auf dieser Lichtung sollt ihr walten,
Nach frischen Seelen Ausschau halten.
Seht ihr dann einen Wandersmann,
So bietet ihm ein Lager an.

Kobold
Und will der Wandrer wieder fort?

Wanderer
So ruft mich schnell an diesen Ort.
Ich überlass euch diese Gabe ...

Kobold
Was soll ich mit dem Wanderstabe?

Wanderer
Ihr stoßt ihn dreimal auf die Erde,
Worauf ich prompt erscheinen werde.
Doch wehe! Wenn ihr euch erdreistet
Und meinem Wort nicht Folge leistet,
Brennt ihr in meinen Höllenfeuern.

Kobold
O Herr, lasst mich erneut beteuern:
So wahr ihr heute seid erschienen,
Will ich auf ewig euch nur dienen!

Es pufft und qualmt und mit dem Rauch
Verschwindet mein Gebieter auch.
Wo er noch jüngst im Grase stand,
Sind alle Halme rings verbrannt.

Das alles ist mir nicht geheuer,
Den Stab vernichte ich im Feuer.
Doch beim Versuch, ihn zu zerbrechen,
Verspür im Herzen ich ein Stechen,
Als stäche mich ein spitzer Dorn.
Ist das der angedrohte Zorn?

Ich bin verloren, welche Pein,
Von nun an muss ich Sklave sein.

August 2023


Im Sturm

Ein Sturm ergreift mein kleines Boot,
Bedrohlich bäumen sich die Wellen.
Beinah entgleitet mir die Schot,
Was bleibt, als mich dem Schicksal stellen?

Am Horizont verschluckt die See
Der Abendsonne letzten Strahl,
Erneut neigt sich mein Boot nach Lee,
Stürzt abermals ins Wellental.

Von schweren Böen aufgerieben
Sind Mast und Wanten jäh gebrochen,
Mit tausend kalten Geißelhieben
Peitscht mir die See das Fleisch vom Knochen.

Ich blicke in des Sturmes Auge,
Entscheiden wird allein die See,
Ob ich als Seemann etwas tauge,
Ob ich für immer untergeh.

September 2023


Tagebuch eines Hungernden
Nach einem Märchen

Erster Tag

Erst huste ich, dann puste ich,
Der Giebel schwingt, es bebt die Wand,
Die Mauern zittern fürchterlich,
Doch hält das Häuslein tapfer stand.

Das erste Haus war kein Problem,
Es fiel bereits durch mildes Husten,
Und auch beim zweiten gings bequem
Mit einem kurzen, zarten Pusten.

Zweiter Tag

Ich huste und ich puste wieder
Und hör schon fast die Balken krachen,
Die ganze Hütte blas ich nieder,
Doch ist auch heute nichts zu machen.

Gewalt allein bringt mich nicht weiter,
Hier muss ich auch gerissen sein!
Ich bringe morgen eine Leiter
Und schlüpfe durch den Schornstein rein.

Letzter Tag

Zu raffiniert ist dieser Plan,
Er kann im Grunde nicht misslingen!
Die Leiter steht, gesagt, getan,
Werd ich nun in den Schornstein springen.

Doch plötzlich ist mein Fell durchnässt
Und Hitze kriecht mir in die Knochen.
Am Kesselrand krall ich mich fest –
Mein Magen knurrt, und ich muss kochen.

November 2023